Die Sammlung - Kommentare
Zur Sammlung von Friedrich E. Rentschler
I. Vorspiel
Öffentliche Museen unterliegen in ihrer Sammeltätigkeit auch heute noch einem
stärkeren Legitimationszwang als private Sammler. … Private Sammler dagegen
genießen in dieser Hinsicht ungleich mehr Freiheiten. … Doch gelingt es nicht immer privaten Sammlern, diese Freiheit für sich auf eine Weise zu nutzen, die ihrer Sammlung ein unverwechselbares
Profil verleiht und zugleich das Potential hat, die methodische Auseinandersetzung über das zeitgenössische Kunstschaffen zu fördern.
Die Sammlung von Friedrich E. Rentschler bildet in dieser Hinsicht eines der
gelungensten und glücklichsten Beispiele der vergangenen Jahrzehnte. … Man
könnte versucht sein, ihren Charakter mit verschiedenen Schlagwörtern zu umreißen… Doch lässt sich bei genauerer Betrachtung erkennen, dass Rentschler einzelne künstlerische Positionen verfolgt, die
durch ihre Kombination in der Sammlung eine bestimmte Weltsicht des Sammlers selbst zum Ausdruck bringen, in der analytische und anthropologische Fragestellungen jenen fruchtbaren Zweifel erzeugen,
der seinerseits Ausdruck einer Liebe zur Welt, einer Erotik der Existenz ist.
II. Die Erotik der Existenz
Was die Sammlung von Friedrich E. Rentschler so aufregend macht, ist der Subtext, den die Werke der Sammlung miteinander produzieren. Sie sind nicht Belege für eine Metaebene aus Kunsttheorie,
Philosophie oder Politologie, auch wenn Versatzstücke aus diesen Ebenen, gemeinsam mit profundem kunsthistorischem Wissen, zu der spezifischen Erzählung beitragen. Viel überzeugender aber sind
die Anschaulichkeit und die sinnliche Präsenz jeder einzelnen Arbeit. Abstrakte, formal extrem reduzierte und analytische Werke treten in dieser Sammlung mit fotografischen Portraits oder
mythologisch verankerten Arbeiten in Dialog und erzählen die Geschichte von der abwesenden Anwesenheit der Menschen in dieser Welt, versichern sich dieser zugleich aber immer wieder neu.
Emblematisch hierfür ist ein Werk von Giulio Paolini. 1967 reproduzierte der Künstler das Portrait eines jungen Mannes, das Lorenzo Lotto 1505 gemalt hatte … und versah es mit dem Titel "Junger Mann,
Lorenzo Lotto anschauend". Natürlich können hier alle Fragen nach Original und Reproduktion usw. gestellt und diskutiert werden.
Es bleibt jedoch der Titel, der das Originalgemälde umkehrt in das Abbild dessen,
der den Autor des Bildes anschaut: Eine Re-Vitalisierung jenes Aktes, aus dem
heraus das Bild entsteht. Wir sehen den jungen Mann, nicht das Gemälde des
berühmten Malers. Auch die Arbeit "Mimesis" (1976) von Paolini stellt die Frage
nach dem Verhältnis von Mensch und Kunstwerk: Ist es eine Spiegelung, eine
Dopplung, ein Klonen? Hier entzieht sich die Sinnlichkeit in der Frage nach dem
Original…
Was bringt also die Kunst der Existenz, wenn sie dem Leben gegenüber stets
Distanz wahrt? Rentschler verfolgt diese Frage mit den Augen von Künstlern wie
Daniel Buren, Elaine Sturtevant, Rob Scholte oder Matthieu Mercier, die auf
unterschiedliche Weise den "Kontext Kunst" untersuchen. ... Eine interessante
Scharnierfunktion erfüllen in dieser Konstellation die Werke des italienischen
Künstlers Salvo. Besonders seine atmosphärischen Gemälde aus den Achtziger
Jahren thematisieren mit ihrer Ästhetik des Kitschs auch die Frage nach den
Modalitäten der Wahrnehmung und nach der Authentizität unserer Gefühle, die von der Wahrnehmung ausgelöst werden. Geschieht dies bei Salvo aus einer fast
soziologischen Perspektive, so beschäftigen sich die Werke von Carl Andre, Richard Serra, Sol LeWitt, Dan Flavin und Peter Roehr auf ganz positivistische, formalisierte Weise mit den Bedingungen von
Wahrnehmung. Bei Andre sind es die Gegebenheiten von Strukturen. … Sie alle umreißen den Erfahrungshorizont des Sehsinns und machen ihn erlebbar, nachvollziehbar.
Rentschler hat schließlich eine Gruppe von Werken zusammengetragen, die der
Existenz mit anthropologischen Fragestellungen nachgehen. Keith Harings aus Pop
und Graffiti gewonnenen neo-primitiven Chiffren beschwören hier jenen Vitalismus, dem Alighiero Boetti in seiner Auseinandersetzung mit zentralasiatischen Kulturformen nachspürt…
Fleury dagegen zeigt mit "Faster! Bigger! Better!" (1999), den "Mondrian Boots"
(1992) oder den "First Spaceship on Venus" (1998) konsumistische Accessoires
einer hochmobilen Existenz, die kaum mehr zu orten ist.
Jannis Kounellis und Mario Merz stützen sich dagegen stärker auf die
abendländische Tradition. Von ihnen, wie auch von einigen der bereits Genannten, besitzt die Sammlung von Friedrich E. Rentschler frühe Schlüsselwerke. Das "Letto con fuoco" (1968) von Jannis
Kounellis markiert jenen Ort, an dem jeder Mensch den größten Teil seines Lebens verbringt: Das Bett. Es ist zugleich Metapher für den menschlichen Lebenszyklus, von der Zeugung über die Geburt bis
zum Tod. Das Feuer … markiert die Voraussetzung für ihre Befähigung zu zivilisatorischen und kulturellen Leistungen. Der "Impermeabile I" (1966) von Mario Merz schließlich ist eine hoch verdichtete
Metapher für die Fragilität der menschlichen Existenz. Ob dies die ultima ratio der Existenz ist? Die Sammlung Rentschler lässt diese Frage zu, ohne sie zu beantworten. Damit erlaubt die auch
weiterhin die Erotik der Existenz.
Dr. Friedemann Malsch
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz, April 2009
Vorwort Ausstellungskatalog Palais des Mirages, Goslar Mai-Juli 2009